Pfläumchen

Irgendwann befragte Mullinax Gary Ridgway nach seinem letzten Opfer. Wie zuvor behauptete Gary Ridgway, dass er diese Frau 1985 getötet habe. Kurz bevor er mit seiner dritten Frau Julie zusammengezogen sei. Bei dieser Gelegenheit habe es ihm die Wohnkabine von seinem Pick-up gehauen, als er vom Leichenversteck zurückgekehrt sei. Das sei auf dem Highway 410 gewesen. Daran könne er sich noch ganz deutlich erinnern. Randy Mullinax fragte ihn: »Wieso hast du aufgehört?«

Gary Ridgway führte Julie als Grund an. Sie habe alles verändert. Sobald er bei ihr eingezogen sei, hätten sie fast die gesamte Freizeit zusammen verbracht. So habe er schon im buchstäblichen Sinne keine Zeit mehr zum Morden gefunden. »Also, ein anderer Grund war, dass ich mich um die Tiere kümmern musste. Wir hatten immer Tiere zu Hause. Hunde, Katzen und so. Das hat mich auch davon abgehalten. Und ich hatte Julie. Sie war total abhängig von mir.«

»Moment mal, damit ich das richtig verstehe«, meinte Randy Mullinax. »Du hattest jetzt Pfläumchen, den Pudel, und der verdammte Köter schleckt dir ein paar Mal durchs Gesicht und schon – bumm! – bist du geheilt von deinem Zwang, Prostituierte zu töten? Wir sollen dir das ernsthaft glauben, dass du plötzlich deinen Drang kontrollieren konntest, einfach so? Weil »Pfläumchen« mit dem Schwanz wedelte und weil zu Hause Julie auf dich wartete? Aber gleichzeitig bist du noch zu den Huren gelaufen, richtig?«

»Ich hab immer noch Huren getroffen, ja«, bestätigte Gary Ridgway.
»Das ist, als würdest du dir eine Zigarette in den Mund stecken, sie aber nicht anzünden«, sagte Mullinax. »Ich glaub dir diesen Quatsch nicht.«

»Und nebenbei hatte ich das System besiegt. Das war gut. Das hat mir gefallen. Ich wusste, ich hatte gelesen, dass viele Mörder nicht aufhören konnten. Und ich hab es geschafft. Ich hab es euch gezeigt. Und ihr verschwendet bloß eure Zeit, wenn ihr versucht, mir noch andere Morde anzuhängen. Aber das war auch ein Grund. Es euch zu zeigen. Obwohl das nicht das Entscheidende war. Mir war klar, dass ihr trotzdem nicht aufhört, nach mir zu fahnden.«

»Warum, zum Henker, sollen wir glauben, dass Gary Ridgway plötzlich seinen Zwang kontrollieren konnte und eines Tages sagte: ‚Ich bin fertig, das war’s. Ich bring keine Huren mehr um. 63 ist mein absolutes Limit. Das war’s. Ich kann nicht mehr töten?‘«, fragte Mullinax.

»Ihr werdet nichts finden. Ihr werdet bloß eine Menge Steuergelder verplempern. Aber ihr werdet nichts finden«, antwortete Gary Ridgway den beiden Kriminalbeamten. Nach 1985 gäbe es keine Morde mehr zu entdecken. Die anderen Häftlinge, die Straßenhuren oder die Zuhälter, würden versuchen, ihm weitere Morde anzuhängen. Solche, die er nicht begangen habe. Aber dafür würden sich nie Beweise finden lassen.

»Ihr werdet mit irgendwelcher DNA ankommen. Oder jemand wird mich verpfeifen, euch was vorlügen und erzählen, dass ich ihn geschlagen habe. Mit einem Messer auf ihn los bin. Ihn mit einer Pistole bedroht habe. Womit sie auch immer ankommen werden, das ist alles Quatsch. Und da werden viele auf euch zukommen, weil sie sich einfach denken: ‚Heh, das ist mein Ticket nach draußen. Ich kann den Kerl benutzen‘. ‚Ja, ich bin mit ihm im Auto gefahren. Ich hab ihn die Straße runterfahren sehen, und das war er. Er ist rübergekommen zu mir und ich mochte ihn nicht, weil er mir helfen wollte, den Reifen zu reparieren.‘ Oder so ein Kram. Das ist ein Haufen Scheiße, den die da anschleppen werden. Da wird jede Menge Abschaum angekrochen kommen. Die werden alles Mögliche erfinden, um es mir anzuhängen.«

»Um es dir anzuhängen«, sagte Mullinax.
»Um es mir anzuhängen. Und mit mir ist alles in Ordnung. Mir geht es gut. Ich lach mich bloß kaputt, weil ihr Typen denen glaubt.« Gary Ridgway wiederholte nochmals, dass er nach 1985 zwar Prostituierte besucht habe, aber keine umgebracht habe. Wegen Julie und »Pfläumchen« und überhaupt.

Vorschau auf Todesmeile – Dritter Teil (2001-2003)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert